Churchill & Kennedy: Wie die englische »Bulldogge« Amerikas Präsidenten beeinflusste

Winston Churchill und John Fitzgerald Kennedy gelten als zwei der größten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts. Und obwohl sich ihre Wege nicht bis 1958 kreuzten, so ist es unter Kennedys Biografen kein Geheimnis, dass das Leben und politisches Schaffen des britischen Premierministers Kennedy imponiert haben. Bereits in jungen Jahren war John F. Kennedy ein wahrer »Churchillian«. In seiner Jugendzeit, in der er aufgrund seines Gesundheitszustands des Öfteren bettlägerig war, verschlang er die historischen Werke des Politikers und Kriegshelden.

 

Kay Halle, eine Journalistin aus Cleveland und sowohl Freundin der Kennedys als auch der Churchills berichtete davon, wie sie den 15-jährigen Jack bei einem Krankenhausbesuch in Churchills The World Crisis (1923-1931) lesen sah.

 

Als John F. Kennedy 20 Jahre alt ist, wird sein Vater Joseph P. Kennedy von Franklin D. Roosevelt zum US-Botschafter in Großbritannien berufen und reist 1938 zum Amtsantritt mit seiner Familie nach London. Aufgrund konträrer politischer Sichtweisen wird Kennedy sr. und Churchill eine gewisse gegenseitige Abneigung nachgesagt. Als Isolationist befürwortete Botschafter Kennedy die Appeasement-Politik – zu Deutsch Beschwichtigungspolitik – des Vereinten Königreichs gegenüber Hitler-Deutschland. Churchill hingegen war ein lautstarker Kritiker des »Gewährenlassens« von Diktatoren.

 

John F. Kennedy, zu diesem Zeitpunkt 21 Jahre alt und noch ein politisch Unentschlossener, distanziert sich in dieser Frage bemerkenswerterweise von seinem Vater. Mitgerissen von der angespannten Vorkriegssituation in Europa und den leidenschaftlichen Debatten im britischen Parlament entscheidet sich Kennedy seine Abschlussarbeit über die Appeasement-Politik Großbritanniens zu schreiben – jenes Werk aus dem später sein erstes Buch Why England Slept (1940) entstehen sollte. Der Titel lehnt sich sprachlich bewusst an Churchills zwei Jahre zuvor erschienene Redensammlung While England Slept an. Hier hatte Churchill die fehlende politische Härte Englands gegen das Deutsche Reich und die Appeasement-Politik des damaligen Premiers Neville Chamberlain scharf kritisiert.

 

In seiner Arbeit bezieht Kennedy eine eher gespaltene Position, die relativ untypisch für die Appeasement-Debatte ist. Einerseits verurteilt Kennedy Chamberlains Verhalten gegenüber Hitler, andererseits hallt in seiner Meinung auch die Einstellung seines Vaters Joe wider: Da sich die Briten nicht auf einen Krieg vor 1939 eingelassen hätten, war es richtig gewesen Hitlers Vorgehen zu akzeptieren. Why England Slept enthält bereits Hinweise auf Standpunkte, die Kennedy später als Präsident einnehmen wird. Auf der einen Seite ein Verfechter des Weltfriedens, auf der anderen ein kalter Krieger, der sich gegen seinen »Gegenspieler« Sowjetunion behaupten muss.

 

Auch Kennedys zweite Publikation, Profiles in Courage (1955), für die er den Pulitzer Preis erhielt, wurde von einigen Kritikern als Anlehnung an Churchills Great Contemporaries (1937) verstanden. Sowohl Churchills als auch Kennedys Werk behandelt Politiker, die in Zeiten höchsten politischen Drucks einzig ihrem Gewissen und prinzipientreu handelten. Immer wieder betont Kennedy die Notwendigkeit einer starken Führungsrolle, die er auch selbst verkörpern wollte. Eine Grundhaltung, die Kennedy und Churchill durchaus gemeinsam haben: Demokratie muss (und kann) auch mit Härte verteidigt werden.

 

1958, zwei Jahre vor seiner Präsidentschaftskampagne, bot sich Kennedy endlich die Möglichkeit Churchill in Südfrankreich zu treffen. Der Historiker Arthur M. Schlesinger erzählt von der Begegnung der beiden:

»Er und Jackie hatten mit William Douglas-Home, einem Dramaturgen, und dessen Frau, ein Haus in Cannes in den späten Fünfzigern. Eines Abends dinierten sie mit Churchill auf der Onassis Yacht. Insgesamt war es kein Erfolg. Churchill, nun ein alter Mann, hatte Probleme zu unterscheiden wer in der Gruppe Jack [John F. Kennedy] war, und als er ihn endlich zuordnen konnte, ging die Konversation ziemlich schleppend voran. Er hat seinen Helden zu spät kennengelernt. Aber Churchill blieb seine größte Bewunderung.«

 

Insgesamt paraphrasiert und zitiert John F. Kennedy Churchill nicht weniger als neun Mal während des folgenden Wahlkampfes 1960. Getroffen hat er Churchill nach 1958 jedoch nicht mehr. In den Jahren seiner Präsidentschaft tauschten beide einige Telegramme aus, jedoch zu eher belanglosen Themen. 1963 erhält Winston Churchill auf Drängen Kennedys die Ehrenstaatsbürgerschaft.

 

Obwohl die Fakten zu Churchills Einfluss auf Kennedy als Staatsmann recht überschaubar sind, lassen sich dennoch Analogien zwischen den beiden Politikerkarrieren finden. Zum einen ist bekannt dass Kennedy, ein leidenschaftlicher Leser, mit Churchills literarischem Werk vertraut gewesen war. Von der Bewunderung, die er für den britischen Premier entgegenbrachte zeugen einerseits seine eigenen Bücher, in denen er ähnliche Themen – die britische Außenpolitik und die Analyse von Politiktypen – aufgreift, andererseits Churchills Rhetorik, die er im Präsidentschaftswahlkampf mit seiner eigenen verwebte.

 

Es lassen sich auch Überschneidungen im Führungsstil aufspüren, die jedoch in ihrem jeweiligen politischen und geschichtlichen Kontext gesehen werden sollten. Beide vertraten eine starke und selbstbewusste Position gegenüber der Sowjetunion, verstanden sich als kalte Krieger, gleichwohl waren beide Staatsmänner darum bemüht in Krisensituationen eine Botschaft der Zuversicht zu vermitteln. Zu nennen sind hier Kennedys Berlin-Rede und Churchills »Their Finest Hour«. Obzwar Churchill einer anderen politischen Generation als der vom Idealismus der 60er Jahre geprägte Kennedy angehörte, hatte er dennoch einen tiefgreifenden Einfluss auf den amerikanischen Präsidenten, der erklärte, dass Churchills »Fertigkeiten als Historiker und sein Urteil als Staatsmann die Vergangenheit zum Diener der Zukunft machte « (1963).

 

Alina Wagner