Vermeintliche Wahlhelfer

Um kaum einen amerikanischen Präsidenten ranken sich so viele Verschwörungstheorien wie um John F. Kennedy. Viele von ihnen beschäftigen sich mit der Ermordung des Präsidenten. Eine besonders ausgeklügelte Theorie ist, dass es die Mafia war, nachdem sie von Kennedy reingelegt wurde. Angeblich traf sich Joseph P. Kennedy, Sr. (John F. Kennedys Vater) mit einem der führenden Mafiosi Chicagos und ging einen dubiosen Handel ein: Hilfe der Mafia (dem sog. »Outfit«) bei den Präsidentschaftswahlen für eine höhere Toleranz krimineller Aktivitäten während Kennedys Amtszeit. Dann jedoch hintergeht John F. Kennedy seine »Wahlkampfhelfer« indem er seinen Bruder Robert zum Justizminister ernennt und diesen besonders hart gegen das organisierte Verbrechen vorgehen lässt. Folglich begeht die Mafia blutige Rache an den beiden Brüdern. Zugegeben, auf den ersten Blick scheint diese Theorie einigermaßen plausibel, verliert bei genauer Betrachtung jedoch sämtliche Glaubwürdigkeit.

Zunächst einmal ist festzustellen, dass die Wahl von 1960 einen der knappsten Wahlsiege amerikanischer Geschichte darstellt. Beide Kandidaten wussten im Vorfeld, dass bei dieser Wahl jede Stimme zählte, und sie waren somit auf jegliche Hilfe angewiesen die sie bekommen konnten. Kennedy gewann die Wahl mit ca. 112.000 Stimmen Vorsprung auf nationaler Ebene. Aufgrund des amerikanischen Wahlsystems hätten seinem Kontrahenten, Richard Nixon, weniger als 12.000 Stimmen (verteilt auf bestimmte Staaten) gefehlt, um die Wahl für sich zu entscheiden. Ein Sieg im Bundesstaat Illinois, indem sich Chicago befindet, war Kennedy keinesfalls garantiert, und somit hatte er großes Interesse daran, sich die 27 Wahlmännerstimmen mit allen Mitteln zu sichern. Einen Handel mit der Mafia einzugehen, so scheint es, wäre dementsprechend nicht unbedingt die strategisch unklügste Entscheidung gewesen. Wahlbetrug hat in Chicago ohnehin eine weitreichende Geschichte. Einschüchterung von Wählern durch Gewerkschaften, Banden oder der Mafia kam in der Vergangenheit häufiger vor. Zudem sind sowohl Iren als auch das italienische Outfit traditionell Katholiken. Dieser Umstand ist bei der Wahl des ersten katholischen Präsidenten nicht zu unterschätzen. Überseinstimmungen zwischen den Kennedys und der Mafia waren also durchaus vorhanden. Kennedys Vater war zudem bekannt dafür, die Wahlkämpfe seiner Söhne ungehemmt zu unterstützen. Eine Mögliche Verbindung zum organisierten Verbrechen ist dementsprechend zunächst nicht vollständig unglaubwürdig.

Lässt man sich nicht von vermeindlichen Indizien verführen, ist diese Theorie schlicht nicht länger haltbar. Zunächst einmal war die Chicagoer Mafia während und vor der Wahl bereits unter Observation der Bundesbehörden. Wäre ein Treffen Joseph P. Kennedys, Sr. mit einem Vertreter des organisierten Verbrechens an die Öffentlichkeit geraten, wären die Konsequenzen für den Wahlkampf katastrophal gewesen. Außerdem kontrollierte die Mafia im Jahr 1960 gerade einmal fünf Wahlbezirke in Chicago. In diesen Wahlbezirken gab es insgesamt 279 Wahllokale. Untersuchungen haben ergeben, dass das Outfit in Chicago zu keinem Zeitpunkt die nötigen »Mitarbeiter« gehabt hätte, um die Wahllokale – etwa durch Einschüchterung von Wählern – zu beeinflussen. Der letzte Sargnagel dieser Theorie ist deshalb auch der Umstand, dass, selbst wenn es ein Abkommen gegeben haben sollte, anscheinend jemand vergessen hat, den Wählern Bescheid zu geben. Denn Analysen zufolge haben die Wähler der Wahlbezirke des Outfits ungewöhnlich stark gegen Kennedy abgestimmt.

Bei den vielen Verschwörungstheorien rund um den 35. Präsidenten sticht diese insbesondere dadurch heraus, dass sie ein klares Motiv für die Ermordung Kennedys präsentiert: Der »Verrat« von Kennedy nach der Wahl. Da der Grundstein dieser Theorie jedoch durch diverse Untersuchungen und Wahlanalysen weitestgehend widerlegt wurde, bleibt auch dieser Erklärungsansatz unglaubwürdig. Bei der Auseinandersetzung mit den diversen Hypothesen rund um Kennedys Wirken, bleibt es dementsprechend nach wie vor sinnig ein gewisses Maß an Skepsis an den Tag zu legen. Insbesondere wenn die Grundlage der Aussagen zum größten Teil aus Vermutungen und Hörensagen besteht.

M. K.