Im Schatten des Bruders: Der Konkurrenzkampf zwischen John F. Kennedy und seinem Bruder Joe Jr.

Der große Platz, den Präsident John F. Kennedy in der Geschichte seiner Familie einnimmt, lässt oft vergessen, dass er für das Präsidentenamt nur die zweite Wahl seines Vaters war. Der eigentliche Favorit und politische Bannerträger der Kennedys, der älteste Sohn Joseph Jr., starb unter tragischen Umständen am 12. August 1944.


Die Beziehung der beiden ältesten Kennedy-Brüder Joseph und John, genannt Joe und Jack, war von Kindesbeinen an sowohl von großer gegenseitiger Zuneigung als auch von erbitterter Konkurrenz geprägt. Ein ständiger Wettstreit entbrannte um sportliche Leistungen, die Zuneigung des Vaters und öffentliche Anerkennung. Die Rivalität der Brüder trat auch durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht in den Hintergrund, und wurde auf den Schlachtfeldern Europas und des Pazifiks fortgesetzt – mit tödlicher Folge.

 

Schon bei der Geburt von Joe Jr. war klar, dass er der Hoffnungsträger der aufstrebenden Kennedy Familie werden würde. Sein Großvater John Fitzgerald antwortete auf die Frage nach den Zukunftsaussichten seines neugeborenen Enkels augenzwinkernd: »Er wird Präsident der Vereinigten Staaten. Seine Mutter und sein Vater haben schon beschlossen, dass er in Harvard studieren wird, dort spielt er Football und Baseball und wird sich ganz nebenbei auch akademisch hervortun. Dann wird er Industriekapitän, bis die Zeit für zwei oder drei Amtsperioden als Präsident reif ist. Viel weiter wurde noch nicht geplant.«

 

Die Eltern befürworteten unter ihren Kindern ein Klima des freundschaftlichen Wettstreits. Die Mutter, Rose Kennedy, erklärte in ihren Memoiren ihre Erziehungsmethode mit den Worten »wenn der Älteste an seinen schulischen und sportlichen Leistungen arbeitet, bis er dafür Anerkennung bekommt, dann werden die anderen Kinder seinem Beispiel folgen.« Als man Jack Kennedy Jahre nach dem Tod seines Bruder nach dessen Einfluss auf die anderen Geschwister fragte, antwortete er, »es war der Druck, immer sein Bestes zu geben. Joe setzte eine Kettenreaktion in Gang, die mich und alle meine Brüder und Schwestern beeinflusste.«

 

Doch während das Verhältnis des ältesten Sohns Joe Jr. zu den erheblichen jüngeren Brüdern Bobby und Ted einen beinahe väterlichen Zug trug, sorgte der Altersunterschied zum zwei Jahre nach ihm geborenen Jack für Konflikte. Zu ähnlich waren sich die beiden: hochgewachsen, sportlich, gut aussehend und ehrgeizig. Aufgrund seiner Rückenbeschwerden und häufigen Krankheiten war Jack seinem älteren Bruder jedoch körperlich unterlegen, was dieser oft zum Anlass nahm, seinen Rivalen zu drangsalieren. Doch Jack setzte sich zur Wehr, die Folge waren oft wilden Raufereien, die ihre jüngeren Geschwister in Angst und Schrecken versetzten.

 

Bezeichnend für die Beziehung der Brüder ist ein Fahrradrennen, an das sich Jack noch Jahre später zurückerinnern wird. Sie rasen in entgegengesetzter Richtung um den Häuserblock, bis sie vor dem elterlichen Haus direkt aufeinander zu fahren. Da keiner gewillt ist, dem anderen auszuweichen, stoßen sie frontal zusammen und Jacks Wunde muss mit 28 Stichen genäht werden.

 

In ihrer Jugend besuchten Joe und Jack großteils dieselben Schulen, später studierten beide in Harvard. Auf dem Sportplatz und im Klassenzimmer wurde die Leistung des jeweils anderen ständig im Auge behalten. Als Joe die prestigeträchtige Harvard-Trophäe für sportliche und akademische Exzellenz gewann, sah Jack seine Hoffnung auf Ebenbürtigkeit mit seinem Bruder zunichte gemacht. Seinem langjährigen Freund Lem Billings vertraute Jack an, dass er nicht mehr daran glaube, Joe in den Augen seiner Familie noch übertreffen zu können.

 

Im Zweiten Weltkrieg kämpften beide in der amerikanischen Marine – Joe als Bomberpilot, Jack als Kapitän eines Patrouillenboots. Nach kurzer Zeit war Jack der ranghöhere Offizier, sehr zu Joes Verdruss. Als Jack durch die Rettung seiner Mannschaft und deren – durch den Vater bewirkte – medienwirksame Präsentation zum nationalen Kriegshelden avancierte, war Joe Jr. am Boden zerstört. Um die Leistung seines Bruders in den Schatten zu stellen, begann er, immer riskantere Einsätze zu fliegen. Bald hat er 39 Einsätze geflogen – statt der regulären 25.

 

Im August 1944 meldete Joe Jr. sich freiwillig für einen besonders riskanten Luftangriff, für den ein mit Sprengstoff beladenes Flugzeug in einen deutschen Artilleriebunker geflogen werden musste. Joe sollte die fliegende Bombe starten und mit dem Fallschirm abspringen, bevor sie per Funk ins Ziel gesteuert würde. Als Belohnung wurde ihm das Navy Cross, die höchste Auszeichnung der US-Marine in Aussicht gestellt – die Chance, die Heldentat seines jüngeren Bruders doch noch zu übertreffen.

 

Aus bis heute ungeklärten Ursachen explodierte die Maschine kurz nach dem Start. Joe Kennedy und sein Copilot waren sofort tot. Nun war es Jacks Aufgabe, die politischen Ambitionen seines Vaters zu erfüllen. Doch der Heldentod des älteren Bruders besiegelt endgültig dessen Überlegenheit. Jack bekannte: »Ich werde Schattenboxen in einem Kampf, in dem der Schatten immer Sieger bleibt.«

 

Lukas Christ