Einmal Kuba und zurück: Das außenpolitische Krisenmanagement von John F. Kennedy

In der knapp 1000 Tage dauernden Amtszeit von John F. Kennedy ereigneten sich eine Reihe außenpolitischer Krisen, deren Bewältigung den Präsidenten kontinuierlich beschäftigte und die rückblickend zu den prägendsten Ereignissen seiner Präsidentschaft gehörten. Von der »Invasion in der Schweinebucht« am 17. April 1961, kurz nach seinem Amtsantritt, bis zu den viel zitierten und schicksalhaften 13 Tagen der Kubakrise im Oktober 1962 – Kennedy musste sein Führungs- und Entscheidungsvermögen früh unter Beweis stellen. Wie er sein Beraterteam in die Entscheidungsfindung einband unterschied sich dabei signifikant vom seinem Vorgänger Dwight D. Eisenhower. Eine Betrachtung seines auch als Collegial Model bezeichneten Führungsmusters zeigt, wie Kennedy sich das schwierige außenpolitische Terrain erschloss. Die Bewältigung der Kubakrise, dem wohl dramatischsten Moment des Kalten Kriegs, mit der unmittelbaren Gefahr eines nuklearen Konflikts, sollte dann zu einem der Schlüsselmomente für Kennedys Führungsstil werden.

 

Kennedys erste außenpolitische Bewährungsprobe, die »Invasion in der Schweinebucht«, war ein politisches und militärisches Desaster, das Kennedy sehr beschäftigte und für ihn auch zur Handlungsmaxime wurde: »Es wird nie wieder ein zweites Kuba geben.« Das Scheitern eines politischen Wechsels auf Kuba, bei dem Fidel Castro mit Hilfe einer von den USA unterstützen Anlandung militärisch ausgebildeter Exilkubaner gestürzt werden sollte, kann unter anderem auf eine vorschnelle und unzureichend vorbereitete Entscheidung zur Invasion zurückgeführt werden. Dabei gingen die konkreten Planungen, über die Kennedy und sein Team zu diesem Zeitpunkt nicht vollständig informiert waren, noch auf Eisenhower zurück. Die »heiße Kartoffel« Kuba erforderte jedoch ein zügiges Handeln, so dass Kennedy ohne Kenntnis aller verfügbaren Fakten entscheiden musste.

 

Auch hatte Kennedy auf eine rasche Implementierung eines auf Meinungsaustausch unter seinen Beratern angelegten und dabei von ihm moderierten Prozesses gedrungen, der bei Fragen von außenpolitischer Relevanz angewandt werden sollte. Dies bedeutete einen direkten Bruch mit dem von Eisenhower bevorzugten System, das auf einer hierarchischen Entscheidungspyramide basierte an deren Spitze Eisenhower selbst stand – er musste lediglich aus bereits ausgearbeiteten Handlungsoptionen auswählen. Die Ablösung dieses Formalistic Model durch eine praktikable Alternative brauchte Zeit, die Kennedy damals nicht hatte. Im Vergleich zu Eisenhower lässt sich Kennedys Modell mit einem Rad vergleichen, bei dem Kennedy die Nabe und seine Berater die Streben darstellen, wobei letztere wieder untereinander verbunden sind. Ein Austarieren dieses Systems erfordert viel Kommunikation und den direkten Einbezug des Präsidenten, um eine dynamische und kollegiale Atmosphäre zu erreichen. Solch eine fehlende Feinjustierung manifestierte sich im Fall der »Invasion in der Schweinebucht« in einem Gruppendenken, d.h. es bildete sich unter allen Beteiligten eine stille Übereinkunft über das weitere Vorgehen heraus. Alternative Lösungen wurden so nicht eingebracht oder erörtert. Dies geschah aus Scheu oder weil teilweise falsche Vermutungen über die Meinung der anderen angestellt wurden, so dass Kennedy letztlich nicht anders konnte, als der breiten Mehrheitsmeinung zu folgen.

 

Für den »perfekten Fehlschlag« der Invasion übernahm Kennedy die Verantwortung, nicht aber ohne eine Arbeitsgruppe zur gründlichen Aufarbeitung des Entscheidungsprozesses einzusetzen. Unter der Leitung von General Maxwell Taylor erarbeitete diese Vorschläge, die Kennedy sofort umsetzen sollte: Fortan behandelte er seine Berater als Generalisten und nicht als Vertreter einer bestimmten Behörde oder eines Ministeriums, er verpflichtete alle seine Berater zum Teamwork und machte sie für Entscheidungen gemeinsam verantwortlich, er wählte seinen Bruder Robert und seinen engen Berater und Redenschreiber, Theodore Sorensen, als Wachhunde aus, welche die Debatte am kochen halten sollten, und er schuf das Protokoll beim Meinungsaustausch ab, d.h. Informalität und Unkonventionalität wurden groß geschrieben. Im persönlichen Umgang mit seinem Beraterteam, das er ausschließlich nach dem Prinzip von »die Besten und die Klügsten« hatte zusammenstellen lassen, zeigte er nun eine Managerqualität, die seine ursprüngliche Idee der Entscheidungsfindung zum Leben erweckte. Kennedy machte darum deutlich, dass er jederzeit ansprechbar und zugänglich sei. Einer seiner Minister wurde wie folgt zitiert: »Wenn es etwas Wichtiges gibt, zögere ich nicht, ihn anzurufen – sogar in der Nacht oder am Sonntag.« Ob es um persönliche Eitelkeiten, das Verteilen von Lob und Tadel oder einen respektvollen Umgang miteinander ging, Kennedy schuf eine offene und ausgeglichene Atmosphäre. Dies unterscheidet ihn von Franklin D. Roosevelt, der mit seinem Competetive Model gegenseitige Konkurrenz und Rivalität förderte, um daraus, unter hohem persönlichen Einsatz, die besten Ideen abzuschöpfen.

 

Zum Zeitpunkt der »Cuban Missile Crisis« hatte sich Kennedys Collegial Modeleingespielt und trug entscheidend dazu bei, die Gefahr einer Eskalation zu entschärfen. Nach der Stationierung sowjetischer Langstreckenraketen auf Kuba folgten intensive Beratungen, die letztlich in einem Kompromiss mündeten, der beiden Seiten erlaubte ihr Gesicht zu waren. Eine Seeblockade Kubas sowie der gleichzeitige Abzug amerikanischer Jupiter-Raketen aus Italien und der Türkei stellten das strategische Gleichgewicht wieder her. Das von Kennedy kreierte »ExComm«, ein geheimer Ausschuss von Beratern, nahm bei der Entscheidungsfindung die Schlüsselrolle ein. Hier wurde die Lage aus verschiedensten Blickwinkeln betrachtet und kontrovers diskutiert. Kennedy selbst bewegte sich als neutraler Mittler zwischen den involvierten Parteien und sollte am Ende seine ursprüngliche Position – die eines gezielten Luftschlags gegen die Raketenstellungen – zu Gunsten eines moderateren und letztlich erfolgreichen Vorgehens aufgeben. Für sein Krisenmanagement erfuhr Kennedy später viel Lob und Anerkennung. Dabei erntete der Präsident die Früchte eines zweijährigen Lernprozesses, während dessen er effektive Entscheidungsstrukturen etablierte und so seine außenpolitischen Vorstellungen umsetzte. Passenderweise steht Kuba sowohl am Anfang als auch an einem vorläufigen Ende dieser Entwicklung. Falls aber die Reihenfolge der Ereignisse umgekehrt gewesen wäre, hätte das Ergebnis eine Katastrophe bedeuten können.

 

Die drei unterschiedlichen Entscheidungsfindungs-Modelle wurden von dem Politikwissenschaftler Alexander L. George rückblickend entwickelt und den einzelnen Präsidenten zugeordnet.

 

HCA