John F. Kennedy und die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung

Die rechtliche und soziale Situation afroamerikanischer Bürger in den USA war zu Beginn der 60er Jahre äußerst prekär. Während in den Nordstaaten die »Rassentrennung« (Segregation nach dem Konstrukt der »Rasse«) zumindest indirekt und teilweise vorhanden war, verfolgten die Südstaaten weiterhin eine direkte und offene Segregation in den Institutionen, darunter im öffentlichen Nahverkehr, im Handels- und Dienstleistungssektor, in öffentlichen Einrichtungen wie Krankenhäusern und im Bildungswesen. Weiterhin erfuhren afroamerikanische Bürger erhebliche Benachteiligungen in den Bereichen Arbeit, Wohnen und Wahlrecht. Im Süden der Vereinigten Staaten waren zu Beginn der 60er Jahre nur 20% der afroamerikanischen Wähler registriert. »Weiße« Bürger verhinderten aktiv die Registrierung »schwarzer« Bürger und es gab segregierende Hürden wie Schreib- oder Wissenstests, um sich als Wähler registrieren zu lassen. Die Arbeitslosigkeit unter »Schwarzen« war doppelt so hoch wie unter »Weißen«.

 

Das Ziel der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung war die Gleichstellung der »Schwarzen« mit den »Weißen«, die zwar rechtlich zugesichert war, jedoch institutionell verhindert wurde. In einem Urteil von 1896 hatte der Oberste Gerichtshof verfügt, dass die Trennung nach »Rassen« aufrechterhalten werden könne, wenn die getrennten Einrichtungen gleichwertig seien (»separate but equal«). Diese Regelung legten insbesondere die Südstaaten in der Weise für sich aus, dass sie die Trennung weiterführten und dabei die Bereiche für »Schwarze« weder pflegten noch instand hielten oder ausbauten; so konnte von Gleichheit trotz Trennung keine Rede sein. Die Aktionen der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung nahmen in den Folgejahren immer größere Ausmaße an, sie beinhalteten Demonstrationen, Boykotts und Friedensfahrten. Während John F. Kennedy zu Beginn seiner Amtszeit als Senator von Massachusetts das Thema weitestgehend unbearbeitet ließ, setzte er sich 1957 für ein moderates Bürgerrechtsgesetz ein.

 

Im Präsidentschaftswahlkampf von 1960 engagierte sich John F. Kennedy zusammen mit seinem Bruder Robert F. Kennedy schließlich für Martin Luther King Jr., der wegen eines nicht umgemeldeten Führerscheins inhaftiert worden war, und bewirkte so seine Freilassung. Kennedys Parteinahme für King brachte ihm hohe Popularitätswerte bei den Afroamerikanern ein und trug damit auch zum knappen Wahlsieg gegen Richard M. Nixon bei.

 

Der Handlungsspielraum bewegte sich für den Präsidenten Kennedy zwischen der Exekutive und der Legislative, wobei er lange Zeit der Exekutive den Vorzug gab (»executive action rather than legislation«). Zusammen mit seinem Bruder Robert F. Kennedy, der Justizminister war, setzte sich John F. Kennedy anfangs für die Ausschöpfung der jeweiligen rechtlichen Leitlinien ein. So wurden in vielen Fällen Klageverfahren angestrengt, um das Recht vor dem Gesetz bestätigt zu bekommen. Zumindest im Bereich des Wahlrechts war die Handlungsfähigkeit einer gut geführten Exekutive fast genauso wirksam wie die der Legislative. Zur Eskalation kam es, als sich der Student James Meredith am 1. Oktober 1962 als erster „Schwarzer“ an der Universität Oxford im Bundesstaat Mississippi einschreiben wollte. Auf Befehl Kennedys wurde Meredith von Militär und Justizbeamten begleitet, um seine Einschreibung zu ermöglichen. Bei den Protesten und Ausschreitungen starben zwei Menschen und über 70 wurden verletzt. 

 

Ein derart sensibles Thema wie die Bürgerrechtsgesetzgebung hätte John F. Kennedy die Wiederwahl kosten können, wie er selbst (»this thing could cost me the election, but I have no intention of turning back now or ever«), zeitgenössische Berater und heutige Historiker gleichermaßen feststellten. Tatsächlich sanken die Popularitätswerte von Präsident Kennedy bei »Weißen«  in den Jahren 1962 und 1963, nicht zuletzt wegen seines Versuchs, sein neues Bürgerrechtsgesetz einzubringen.

 

Im August 1963 plante die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung einen Marsch auf Washington, um ihrem Willen und der Dringlichkeit ihres Anliegens Ausdruck zu verleihen. Präsident Kennedy war erst gegen eine derartige Massendemonstration, vor allem, weil er eine gewalttätige Eskalation befürchtete. Die Demonstration fand unter Auflagen statt, blieb friedlich und war damit ein Erfolg für die Bürgerrechtsbewegung. Während dieser Demonstration hielt Martin Luther King Jr. seine berühmte »I have a dream«-Rede und setzte sich auch für die Unterstützung der Kennedy-Gesetzgebung ein, die durch eine Blockade im Kongress aufgehalten wurde. Gerade diese von Kennedy befürchtete Blockade ist eine Erklärung für sein anfänglich sehr zögerliches und vorsichtiges Vorgehen in Bezug auf die Bürgerrechtsgesetzgebung. Um eine möglichst breite Unterstützung für sein Gesetz zu erhalten, musste er auch Senatoren und Gouverneure der Südstaaten miteinbeziehen. Diese brauchte er wiederum, um andere Gesetzesvorhaben verabschieden zu können. 

 

John F. Kennedy hatte erkannt, dass sich die Stimmung 1963 soweit gewandelt hatte, dass eine Zustimmung zu einem Bürgerrechtsgesetz in den Kammern überhaupt erst möglich erschien. Kennedys Gesetzesinitiative war von ihm über Jahre hinweg vorsichtig und unter größtem taktischen Geschick vorbereitet worden. Dabei musste er sowohl auf die Zustimmung demokratischer Südstaatler hoffen als auch republikanische Südstaatler ihr Gesicht wahren lassen, indem sie Ablehnung äußern oder Veränderungsvorschläge anbringen konnten. Sein vorsichtiges Vorgehen bis 1963, das viele als zu zögerlich interpretierten, bereitete so in mehrfacher Hinsicht den Boden für ein erfolgreiches Gesetz. Die öffentliche Meinung war indessen gewandelt, zum einen, wie historische Studien zeigen, wegen der zahlreichen Reden, die Kennedy zum Thema Bürgerrechte hielt, und zum anderen nicht zuletzt auch wegen der friedlichen Massenkundgebung von Washington.

 

Die Ermordung Kennedys im November 1963 verhinderte dann zunächst ein Zustandekommen seines Gesetzes, das erst unter seinem Nachfolger Lyndon B. Johnson umgesetzt werden konnte, aber größtenteils seine Handschrift trug. Auch dieses Bürgerrechtsgesetz konnte die Segregation nicht vollkommen aufheben, auch wenn dadurch entscheidende Ansätze zur weitergehenden Desegregation geliefert wurden. So konnte u.a. der Anteil der registrierten »schwarzen« Wähler im Süden der USA auf 40% gesteigert werden (1965 lag er dann bei 60%). Bis 1968 konnte die Bürgerrechtsgesetzgebung bewirken, dass die Segregation in öffentlichen Einrichtungen und Bildungseinrichtungen rechtlich aufgehoben wurde, ebenfalls die Diskriminierung im Arbeitsrecht, im Wahlrecht und im Wohnrecht.

 

MSL