»Ich bin ein Berliner« Die Rhetorik John F. Kennedys am Beispiel seiner Berlin-Rede am 26. Juni 1963 vor dem Rathaus Schöneberg

Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain hat einmal gesagt, um eine gut improvisierte Rede halten zu können, brauche man mindestens drei Wochen. Auch John F. Kennedys berühmte Berlin-Rede vor dem Rathaus Schöneberg war ein ausgeklügeltes Meisterstück. Kennedy war sowohl ein begnadeter Rhetoriker als auch ein unverhohlener Bewunderer brillanter Reden. In den Prozess des Redenschreibens war er stets mit eingebunden, und es war seine Idee, jene deutschen Worte in seine Rede einzuarbeiten, welche bei rund 450.000 Berlinern tosenden Jubel auslösten: »Ich bin ein Berliner«.

Wie genau es Kennedy schaffte, mit Hilfe rhetorischer Stilmittel wirksam zu reden und seine Zuhörerschaft für sich zu gewinnen, soll im Folgenden erörtert werden. Allgemein lässt sich die Rede in mehrere Abschnitte unterteilen, welche die Thematik des Kampfes gegen den Kommunismus und für die Freiheit von verschiedenen Seiten beleuchten.

In der Einleitung (Z. 1–6) begrüßt Kennedy zunächst seine Zuhörer und hebt hierbei Bundeskanzler Konrad Adenauer und Bürgermeister Willy Brandt hervor, indem er sie als »distinguished« bezeichnet. Sich selbst bezeichnet er als Gast. Schon in den ersten beiden Sätzen verwendet er zweimal das Wort »proud« um hervorzuheben, wie stolz er ist, an diesem Tag in Berlin sein zu dürfen. Die Erwähnung des ehemaligen amerikanischen Militärgouverneurs Lucius D. Clay löst Beifallstürme aus, da dieser Mitorganisator der Luftbrücke war. Schon zu Beginn baut Kennedy Sympathie zu seinen Zuhörern auf und gewinnt so deren Aufmerksamkeit.

Im folgenden Absatz macht sich der Präsident das bekannte Cicero Zitat »Ich bin ein Bürger Roms.« zu eigen, und mit einer am Satzende rhetorisch eindrucksvollen Wendung äußerte er folgendes: »Two thousand years ago, the proudest boast was civis romanus sum. Today, in the world of freedom, the proudest boast is Ich bin ein Berliner.« (Z. 7-9). Mit diesem eindrucksvollen historischen Vergleich ermutigt der US-Präsident die Berliner, stolz auf ihre Freiheit zu sein. 
In einem weiteren Abschnitt (Z. 10–16) beschreibt Kennedy, wie gegensätzlich die »freie Welt« und der Kommunismus sind und forderte all jene, die diesen Gegensatz nicht sehen, auf, nach Berlin zu kommen. Er wiederholte viermal den Satz »Let them come to Berlin.«, einmal sogar auf Deutsch um noch mehr Sympathie zu schaffen. Dieses Stilmittel nennt man Epipher, und Kennedy erreicht mit dessen Verwendung genau das, was Barack Obama mit seinem Wahlkampfslogan »Yes, we can« Jahre später erreicht: Er schafft es, dass sich seine Zuhörer genau diesen Satz in ihr Gedächtnis einprägen.

Im weiteren Verlauf seiner Rede verwendete Kennedy mehrfach Metaphern wie zum Beispiel die der »besieged city« (Z. 20). Wahrhaftig angetan vom Durchhaltewillen der Berliner schmeichelte Kennedy mit seiner Wortwahl den Zuhörern und sprach ihnen zudem Mut zu. Ganz nach dem Vorbild Aristoteles führte Kennedy seine Rede in einem pathetischen Ton fort und bezeichnete die Mauer als abscheulichste und stärkste Demonstration für das Versagen des kommunistischen Systems.

Interessant ist, dass Kennedy erst ab Zeile 26 auf den vorbereiteten und ausformulierten Text zurückgreift, während er den Anfang seiner Rede fast völlig frei hält. Die Sätze werden jetzt   komplizierter und sind zudem weniger direkt an die Zuhörer gerichtet. Der Jubel lässt dadurch deutlich nach. Worte wie »peace«, »free«, »good«, »true« und »right« kommen aber auch in diesem Teil der Rede wiederholt vor (Z. 26–31), und eine weitere hervorragende Metapher ist die Bezeichnung Berlins als eine »isle of freedom« (Z. 30). Kennedy spürte, dass er einen Schlusspunkt setzen muss. Mit dem Satz »All free men, wherever they may live, are citizens of Berlin« machte er Berlin zum Symbol für die Freiheit des Menschen und er wiederholt den denkwürdigen Satz: »Ich bin ein Berliner.« Es folgt minutenlanger, nicht abreißender Jubel der Zuhörer.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Analyse der Rede zeigt, wie gut Kennedy die Kunst des Redens beherrschte. Der US-Präsident trat charismatisch und pathetisch zugleich auf und schaffte es, mit gekonnt eingesetzten Stilmitteln und Körpersprache die Zuhörer in seinen Bann zu ziehen. Mit seiner Rede hat er Geschichte geschrieben und ein einfacher deutscher Satz hat sich in das historische Gedächtnis mehrerer Generationen eingebrannt.

Julia Widmayer