Eine Reise durch Europa und ihr Einfluss auf die Außenpolitik John F. Kennedys 

Es ist kein Geheimnis, dass John F. Kennedy ein großes Interesse an Außenpolitik hatte. Ob dies eine natürliche Neigung, also abhängig vom persönlichen Charakter war oder Erfahrungen stammte, ist nicht bekannt. Fest steht aber, dass John F. Kennedy Zeit seines Lebens immer gerne viel gereist ist. Als Kind einer wohlsituierten Familie aus Boston, hatte er 1937, also mit 20 Jahren, das erste Mal die Möglichkeit eine Reise durch Europa zu unternehmen. Diese Reise wurde ihm von seinem Vater Joseph P. Kennedy empfohlen, der es sehr wichtig fand, dass Jack, wie John im Familien- und Freundeskreis genannt wurde, einen Eindruck von Europa gewinnt. Reisen wie diese waren ein Muss für junge Leute der guten Gesellschaft, sie galten als notwendige Ergänzung der schulischen Bildung, die sie auf den besten Colleges Amerikas erhalten hatten: Man musste die bedeutendsten Orte Europas gesehen haben.


So reiste Jack im Anschluss an seinen Schulabschluss nach Europa – hierfür ließ er sogar sein neues Auto über den Atlantischen Ozean überführen. Alleine zu reisen langweilte ihn, und so nahm er seinen Freund Lem Billings mit nach Europa. Die Beiden waren fleißig: Auf ihrer Tour ließen sie kein wichtiges Museum aus. Weit wichtiger für Jacks politische Karriere waren jedoch die Eindrücke der Reise, die Einfluss auf sein Interesse an Außenpolitik hatten. Das Tagebuch, das er während der zweimonatigen Tour führte, ist zu großen Teilen auch ein Abriss der politischen Ereignisse und der nationalen Gepflogenheiten der damaligen Zeit. 

 

Die erste Station der Reise war Frankreich. Hier war Jack sehr daran interessiert herauszufinden, was die Franzosen über Roosevelts Wirtschafts- und Sozialreform »New Deal« und über die Wahrscheinlichkeit eines neuen Krieges in Europa dachten. Mit ausgeprägter Neugier versuchte Jack während seinen Reisen immer auch mit den Menschen vor Ort zu sprechen, um die allgemeine Stimmung zu erfassen und um zu verstehen, wie sowohl die europäischen als auch die internationalen Ereignisse in den verschiedenen Ländern wahrgenommen wurden. Die Franzosen seien, so Jacks harsches Urteil, ein »primitives« Volk. Die Spanier gefielen ihm aber noch weniger: Von den Flüchtlingen in Frankreich hatten die Freunde über die Grausamkeit des Bürgerkriegs gehört, und in Biarritz besuchten sie einen Stierkampf, den sie interessant, aber sehr brutal fanden. Jack fand die Italiener zwar zu laut, aber sympathisch und ihre Begeisterungsfähigkeit, die er auf den Straßen miterleben konnte, ließ ihn zu dem Schluss kommen, dass der Faschismus den Italienern gut tun könnte. In Deutschland fühlte sich Jack wegen der Überheblichkeit des nationalsozialistisch regierten Volkes nicht wohl. Doch mehr noch als diese negativen Eindrücke interessierten ihn die aktuellen Beziehungen zwischen den Ländern Europas und der mutmaßliche Verlauf der nahenden Ereignisse: Jack war schon im Jahr 1937 klar, dass ein neuer Krieg in Europa sehr wahrscheinlich war. Seine Vorliebe, sich den Dingen analytisch zu nähern und Erklärungen für die jeweiligen Verhältnisse zu suchen, gewann die Oberhand über persönliche Gefühle und Eindrücke, die seiner Meinung nach das Europa-Bild derer bestimmten, die sich, wie sein Vater, subjektive Urteile bildeten. Auch begriff er auf dieser Reise, wie leicht man sich falsche Vorstellungen von politischen Problemen macht, wenn man sich nur auf persönliche Eindrücke verlässt und sich nicht wirklich vor Ort informiert. Damit distanzierte er sich von seinem Vater, der die Welt in erster Linie nach seinem persönlichen Bild beurteilte.

 

Obwohl der junge Jack Franzosen, Deutsche, Italiener und Spanier wenig schmeichelhaft beurteilt hatte, ist es immerhin bemerkenswert, dass er gegen die isolationistische Haltung seines Vaters zunehmend kritischer wurde, jedoch ohne sich davon vollständig distanzieren zu können. Mit der Weltanschauung seines Vaters setzte sich Jack später in seiner Abschlussarbeit an der Universität zu Englands Appeasement-Politik auseinander, die zu großen Teilen ein Resultat seiner Reisen und Studien vor Ort war. Die Arbeit wurde im Jahr 1940 auf Drängen seines Vaters unter dem Titel »Why England Slept« veröffentlicht.

 

Diese erste Europareise hatte John F. Kennedy die befriedigende Erkenntnis verschafft, dass es mehr darauf ankommt, sich ein unabhängiges Urteil zu bilden, als sich nur an allgemein vorherrschenden Meinungen zu orientieren. Er begriff, dass trotz der räumlichen und politischen Entfernung zwischen den Vereinigten Staaten und Europa, die Lage auf dem »Alten Kontinent« erhebliche Auswirkungen auf die USA haben würde. Dank dieser Reise wurde dem späteren Präsidenten klar, dass die sozialen und politischen Ereignisse in den verschiedenen Ländern in engem Zusammenhang standen und immer größeren Einfluss aufeinander haben würden.

 

CP